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Es ist kurz vor halb 9, als ich das erste Mal nach etwa 10 Jahren den Klassenraum einer Grundschule betrete, in diesem Fall die 2a der Karmeliterschule. Dort findet nämlich jeden Mittwochmorgen in der ersten Stunde der Klassenrat statt, welcher aktuell unter dem Thema „Eigenständig werden“ läuft. Auf dem Gang ertönt die Stimme einer ziemlich aufgebrachten Mama, die sich bei einem Schüler beschwert, ihr Sohn habe schon Albträume wegen ihm. Den Angesprochenen, bisher noch unbekannt, scheint ihre kleine Predigt nicht besonders zu interessieren. Er beendet die einseitige Diskussion mit einem unbeeindruckten „k“ und verzieht sich in den Raum. Hier treffe ich auf Silke A., die diese Stunde leiten wird. Unterstützt von den Mana Mana Klängen der Sesamstraße beginnt der Unterricht.

Einer der Schüler wird auserkoren, sich um den bevorstehenden Sitzkreis zu kümmern. Nach einigem hin- und hertragen der Stühle, stellt sich heraus, dass die Prozedur wohl noch ein paar Mal geübt werden muss: Immanuel berichtet, dass einige seiner Mitschüler fälschlicherweise den Stuhl geschoben statt getragen haben und an der Lautstärke muss auch noch ein bisschen gearbeitet werden.

Beim Klassenrat gibt’s drei Ämter: Den Zeitwächter, der Gespräche beendet, wenn sie zu lange andauern. Den Protokollschreiber, dessen Funktion der letzte Protokollant leider vergessen hat, doch nach ein wenig Grübeln fällt sie ihm wieder ein. Außerdem gibt es den Vorsitzenden, der für Ruhe sorgt und bestimmen darf, wer redet. Als es um die Verteilung der Ämter geht, schießen fast alle Finger in die Luft. Trotz der anfänglichen Euphorie stellt der Zeitwächter später fest, dass er doch „keinen Bock“ mehr hat, ständig auf die Uhr zu schauen.

Der Klassenrat läuft nach einem festgelegten Plan ab. Zuerst gibt es eine Runde, in der jeder Schüler berichten muss, was ihm in der letzten Woche gefallen hat. Ich könnte nun 20 Antworten auflisten, allerdings sind 15 von ihnen identisch: „Mir hat gefallen, dass ich mit meinen Freunden gespielt habe.“ Auf Platz 2 mit vier Antworten ist der Satz „Mir hat gefallen, was wir im Sportunterricht gespielt haben“. Mein persönlicher Favorit ist allerdings nur ein einziges Mal gefallen und kommt zufälligerweise aus demselben Mund wie das aufschlussreiche „k“ kurz vor Beginn des Unterrichtes: „Ich fand gut, dass ich krank war. Da musste ich nicht kommen.“ Da kichern sogar die Mitschüler. Im Gespräch mit Silke A. erfahre ich, dass besagter Schüler bereits 4 Jahre auf der Schule ist und bisher alles wiederholt hat, was nur möglich ist. Obwohl er länger hier lebt, als andere Kinder aus der 2a spricht er wesentlich schlechter deutsch und ist Spezialist darin, negativ aufzufallen.

In der zweiten Runde muss der Protokollant das Protokoll der letzten Stunde vorlesen und wundert sich dabei, ob der Satz „David und Farid haben vertragen“ richtiges Deutsch ist. Jetzt geht es um neue Streits mit anschließenden Tipps, wie man das Problem lösen könnte. Die meisten Auseinandersetzungen handeln von Schubsen auf dem Fußballfeld. Im Laufe der Erzählung kommen oft noch Schläge und Schimpfworte dazu. Ein Junge ist scheinbar noch nicht ganz mit der Ausschmückung seines Kumpels zufrieden, denn auf einmal fuchtelt er wild in der Luft rum und deutet an sich selbst zu schlagen, was den anderen dazu anregt sich noch schnell weitere spannende Details auszudenken. Anschließend kommt der Tipp des Tages: Der Vorsitzende rät ihm, er solle sich doch einfach selbst einen Tipp geben, wie er das Problem lösen kann. Hervorragend! Ansonsten fallen die Tipps meist so aus, dass sich der Gegner, der NIE aus der 2a stammt, entschuldigen muss. Ein Schüler berichtet sogar von unbegründeten Morddrohungen durch einen Drittklässler, was die anderen Kinder ganz schön nervös macht. Nun überlegen alle angestrengt, wer auf die Beschreibung „Jeans und blaue Jacke“ passen könnte und entscheiden sich für Justin. Justin muss es sein. Sie raten ihrem Freund, nicht mehr alleine raus zu gehen und versprechen, ihn zu beschützen. Nur einer reagiert cool, und versichert: „Der hat bestimmt nicht mal ein Messer, um dich umzubringen.“ Das entspannt die Lage natürlich ungemein.

Leider klingelt es dann schon zur Pause und ich muss mich verabschieden. Das war eine super Erfahrung, die ich am liebsten jede Woche machen würde.

Laura

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