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Wo wachsen die kleineren Bahnhofsviertel-Bewohner eigentlich auf? Mein Weg führt mich über einen großen Schulhof direkt in den Vorraum des Sekretariates, wo ich kurz Platz nehme, da ich etwas zu früh bin. Neben mir sitzt ein etwa 40-jähriger Mann, rechts auf einer Krankenliege hält sich ein kleines Mädchen, ich schätze sie auf 8 Jahre, den Bauch. Punkt 9.30 Uhr klingelt es zur großen Pause. Ich habe das Gefühl ein Erdbeben bringt das Schulgebäude zum Einsturz. Unzählige Kinder rasen die Treppen nach unten auf den Pausenhof, einige biegen noch schnell in den Warteraum ab, um der kranken Freundin gute Besserung zu wünschen. Nun kommen auch die Lehrer aus den Klassenräumen. Auf dem Weg zum Lehrerzimmer wird das Mädchen auf der Liege gefragt, ob es ihr besser ginge, anschließend dreht sich die Lehrerin um und fragt mit ernstem Blick, ob der Herr neben mir und ich die Eltern seien. In diesem Fall würde ich vermutlich den Preis als desinteressierteste Mutter des Planeten einholen, da ich abgewandt und einigermaßen distanziert zu der Kleinen sitze. Außerdem sollte ich an dieser Stelle verraten, dass ich momentan 21 bin und mir 12 doch etwas zu jung erscheint, um Mutter zu werden.

Seit über 100 Jahren befindet sich die Karmeliterschule in der Moselstraße. Die Grundschule umfasst etwa 140 Schüler und 13 Lehrkräfte. Im Gespräch mit der Schulleiterin Frau Treumann-Sir zog ich immer wieder unterbewusst Vergleiche zu meiner eigenen Zeit als Grundschülerin, die ich in einem ruhigeren Stadtteil Frankfurts verbrachte. Damals waren wir im Großen und Ganzen auf einem gemeinsamen Arbeits- und Lernstand und es gab kaum Sprachbarrieren. Das ist an der Karmeliterschule nicht der Fall. Hier gibt es eine spezielle Intensivklasse, in der es um die Alphabetisierung von ca. 8-jährigen Kindern geht, die mit ihren Familien gerade erst nach Deutschland kamen und in ihrem Heimatland keine Schule besuchen konnten. Somit haben sie auch in ihrer Muttersprache noch nie Lesen und Schreiben gelernt. Diese Kinder werden besonders gefördert, um in mindestens 2 Jahren in der Lage zu sein, entweder eine weiterführende Gesamtschule, die ebenfalls solche Intensivkurse anbietet, oder die 3. Klasse zu besuchen, was aufgrund ihres Alters allerdings teilweise problematisch ist.

Natürlich ist das Bahnhofsviertel ein nicht ganz ungefährlicher Ort um eine Grundschule zu besuchen. Doch der Schulhof wird ständig betreut, die Kinder werden oftmals von den Eltern zur Schule gebracht und abgeholt. Jeden morgen, bevor der Hof betreten wird, hat die Drogenkommission bereits in allen Ecken nach Spritzen, etc. gesucht und alle Spuren eines vermeintlichen Drogenexzesses beseitig.

Das Einzugsgebiet für die Karmeliterschule erstreckt sich vom Bahnhofs- und Gutleutviertel bis hin zum Westhafen. Einige Familien wohnen sogar jahrelang in Hotels, da sie aus ihren Heimatländern geflüchtet sind und keine andere Lösung möglich ist. Es herrscht ein ständiger Wechsel der Schüler, ein Kommen und Gehen, was die Schwierigkeit der unterschiedlichen Leistungsstände natürlich erhöht. Es gibt es nur Wenige, die die gesamte Grundschulzeit von 4 Jahren dort verbringen.

Die meisten Kinder befinden sich in geschlossenen Systemen: Zuhause, in der Schule und anschließend in der Betreuung oder dem Hort. Bis auf die Pausen verbringen sie wenig Zeit im Freien. Daher gibt es an der Schule viele AGs und Projekte. „Fußball trifft Kultur“ ist beispielsweise ein beliebtes Projekt, an dem die Schule seit Jahren teilnimmt. Es besteht jeweils aus einer Stunde Unterricht, der sich hauptsächlich auf Sprachförderung konzentriert und einer weiteren Stunde Fußball. Dadurch wird ein Ausgleich geschaffen, der den Schülern gefällt. Sie nehmen sogar an externen Turnieren teil.

Die Karmeliterschule zählte erst letztens 46 verschieden Nationalitäten. Der Begriff Multikulturalität trifft hier als mehr als zu. Ein soziales Miteinander lernen die Kids unabhängig vom normalen Unterricht und den AGs in der Klassenratsstunde, die einmal wöchentlich stattfindet. Hier führt mich mein nächster Besuch hin, zu finden unter dem Titel „Eigenständig werden“.

Laura

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